CREM to go

„Cradle to Cradle“: Kreislaufwirtschaft statt Einbahnstraße, Wertstoff statt Wegwerfprodukt

11. Juli 2022

Die Immobilienwirtschaft muss nachhaltiger werden, da sind wir uns alle einig. „Cradle-to-Cradle“ ist bei dieser Mission ein wichtiges Prinzip – das allerdings selten konsequent umgesetzt wird. Warum wir uns ausnahmsweise im Kreis drehen müssen, um voranzukommen, lesen Sie in unserem neuen „CREM TO GO“-Newsletter. Nach einem Blick in die Zukunft werfen wir auch einen Blick zurück und lassen den vergangenen Chef’s Table Revue passieren. Außerdem erfahren Sie im Interview mit Dave Gebauer, Regionalleiter Facility Solutions Nord-Ost bei der ENGIE Deutschland GmbH, mitunter, was Corporate Real Estate Management für ihn bedeutet. Vielen Dank für den stetigen und offenen Austausch. Wir wünschen Ihnen eine gute Lektüre und einen schönen Tag.

Ein Beitrag von Marie de Vries, Swiss Life Asset Managers

 

Wir alle kennen es, wir alle tun es: Recyceln. Seien es nun Altpapier-, Altglas- und Altkleider-Container an der Straße, der Leergutautomat im Supermarkt oder der Kompost im Innenhof. Die Wiederverwertung hat schon vor Jahrzehnten Einzug in unseren Alltag gehalten und wird im Zuge der Klimaziele und entsprechenden Nachhaltigkeitsbestreben beruflich wie privat immer präsenter. Wie sieht es aber fernab der gängigen Konsumgüter aus? Funktionieren solche Ansätze auch im langlebigen Immobiliensektor?

 

Theoretisch ja! Praktisch wird es allerdings noch relativ selten konsequent umgesetzt. Zwar werden Baustoffe wie Fensterglas oder Beton aus Altbeständen nach dem Abriss zunehmend recycelt, allerdings meist für andere Dinge abseits der Gebäudewirtschaft und außerhalb des Immobilienzyklus. Doch genau um dieses wiederholende Moment geht es bei der stringenten, durchgängigen und gänzlich abfallfreien Kreislaufwirtschaft. „Cradle to Cradle“ (kurz „C2C“ und sinngemäß „vom Ursprung zum Ursprung“) nennt sich das Prinzip, das auf jede Branche anwendbar ist und bereits in den 90er Jahren vom deutschen Chemiker Michael Braungart und dem US-amerikanischen Architekten William McDonough entworfen wurde. Ob kompostierbare Textilien, Baumaterialien, Möbel, Elektrogeräte oder andere Güter – Grundvoraussetzung des Konzepts ist, dass die verwendeten Rohstoffe und Materialien nach ihrer Erstnutzung für natürliche oder geschlossene Kreisläufe erhalten bleiben und kein Abfall entsteht. Gleichzeitig sollen positive Mehrwerte für Mensch, Umwelt und Unternehmen geschaffen werden.

 

Wir müssen uns ausnahmsweise im Kreis drehen
Übertragen auf die Immobilie bedeutet dies, dass angefangen vom Entwurf über den Bau und die Nutzung bis hin zum Rückbau alles so gebaut, genutzt und zurückgenommen werden muss, dass erneuerbare Energien abermals Teil des Kreislaufs werden, und die Rohstoffe und Materialien wiederholt zum Einsatz kommen. Aus einstigem Fensterglas entsteht dann eben nicht Behälterglas, sondern erneut Fensterglas, das Holz eines Hauses wird dem Neubau eines neuen Hauses zugeführt und die Kupferleitung einer Brache findet sich als eben solche in dem revitalisierten Objekt wieder.

 

Das lässt nicht nur sentimentale Historikerherzen höherschlagen, sondern ist angesichts stetig steigender Rohstoffpreise, zunehmender Ressourcenverknappung sowie zu hoher CO2-Emissionswerte äußerst zukunftsweisend. Immerhin werden im Immobiliensektor weltweit die meisten Ressourcen verbraucht: Allein in Deutschland werden jährlich über 500 Millionen Tonnen mineralische Rohstoffe verbaut. Dementsprechend hoch ist auch das Abfallaufkommen. Und das Potenzial zur Optimierung! Allerdings bleibt dies aktuell erschreckend oft ungenutzt: Laut Michael Bauer, Partner der Drees & Sommer SE, wird in Europa nur eins von 100 Gebäuden energieeffizient renoviert. Und genau hier liegt der Schlüssel zum Erfolg. Denn im Neubausektor nachhaltig zu agieren, ist nicht das Kernproblem, sondern bereits bestehende Substanz aufzuwerten und ESG-Potenziale entsprechend zu heben. Um also wirklich etwas zu bewegen, muss sich das Mindset ändern und ein Paradigmenwechsel stattfinden – weg von eingefahrenen Trampelpfaden hin zum positiven Fußabdruck auf einem ökologischen Rundweg.

 

Zurück zum Ursprung
So weit, so „grün“. Heißt also, rollt der Abrissbagger heran, muss auf der Baustelle nur eine stringente Müll- bzw. Wertstofftrennung eingehalten werden und schon kann aus Altbestand ein Neubau entstehen? Jein. Denn derzeit eignen sich längst nicht alle verbauten Materialien dazu, ressourcenschonend gemäß dem Cradle-to-Cradle-Prinzip wiederverwertet zu werden. Zum einen wurden früher noch Baustoffe genutzt, die heutzutage längst ausgedient haben und als kritisch oder gar schädlich eingeordnet werden.

 

Die Separierung und Entsorgung dieser Materialien sind meist mit einem hohen Kosten- sowie Zeitaufwand verbunden, ein Recycling ist unabhängig davon ausgeschlossen. Bei BEOS und Swiss Life Asset Managers wird daher schon beim Immobilienankauf im Rahmen der technischen und der Umwelt-Due-Diligence geprüft, welche Materialien verbaut wurden, inwieweit diese trennscharf recycelt werden können und mit welchem Aufwand dies verbunden wäre. Bei Neubauten wird neben einer flexiblen und drittverwendungsfähigen Architektur vor allem darauf geachtet, die tragende Gebäudestruktur weitestgehend von der Gebäudetechnik zu entkoppeln, um die Zugänglichkeit und die leichtere Austauschbarkeit überhaupt zu gewährleisten. Und auch auf Materialebene wird weitergedacht: Insbesondere im Hallenbau ist es heute schon sehr gut möglich, überwiegend auf nicht oder nur sehr schwer lösbare Klebeverbindungen zu verzichten, wie dies beispielsweise häufig bei Fassadenelementen der Fall war. Um perspektivisch diese wertvollen Rohstoffe auch wiederverwenden zu können, bedarf es einer lückenlosen und stets aktuellen Gebäudedokumentation. Bei der BEOS und Swiss Life Asset Managers werden diese Informationen bereits vollständig digital und cloudbasiert gespeichert, um auch langfristig und über Eigentümerwechsel hinweg stets verfügbar zu sein.

 

Zum anderen lassen sich zwar viele Rohstoffe wiederverwenden, sind ursprünglich jedoch überhaupt nicht dafür gedacht. So liegt der Gedanke an einen Abriss und die anschließende Baustoffverwertung bei der Errichtung eines Hauses meist in weiter Ferne. Womit wir schon beim richtigen Stichwort wären: ursprünglich. Laut den „C2C“-Begründern Braungart und McDonough ist dem Prozess inhärent, dass die Konzeption von Produkten oder auch Gebäuden sowie deren Einzelkomponenten von Beginn an mit Blick auf die Wiederverwertung stattfindet. Nur dann kann das Prinzip konsequent angewandt werden. Frei nach Zarathustras „In jedem Anfang liegt schon das Ende“ müssen wir also nicht nur den Kreislauf einer Immobilie weiter-, sondern auch Baumaterialien neu denken.

 

„Aus diesem Grund befinden wir uns im ständigen Dialog mit diversen Partnern wie zum Beispiel Betonherstellern und Generalunternehmen und prüfen gemeinsam, was zukünftig möglich ist. Um eine Kreislaufwirtschaft konsequent zu Ende zu denken, bedarf es der Unterstützung und Einbindung aller beteiligten Akteure. Für eine funktionierende C2C-Strategie gibt es zahlreiche Anknüpfungspunkte zu unterschiedlichen Phasen innerhalb des Kreislaufs; angefangen eben bei der Materialherstellung“, berichten Hannes Dalhof und Christoph Büchner, die als Projektmanager mitunter Teil der ESG-Projektgruppe „Kreislaufwirtschaft“ von BEOS sind.

 

Die Immobilie wird zum Materiallager, der ESG-Manager zum Innovator
So hat beispielsweise der Sanitärprodukthersteller Grohe Armaturen entwickelt, die am Ende ihres Lebenszyklus für die Herstellung neuer Armaturen verwendet werden können. Während die Module konventioneller Produkte teilweise fest miteinander verbunden sind und das Recycling dementsprechend aufwändig sein kann, ist bei den auf
„C2C“ ausgerichteten Neuentwicklungen die sortenreine Trennung aller Komponenten bereits bedacht. Zusätzlich dazu hat das Unternehmen die Nutzung nachhaltiger, ressourcenschonender Materialien erhöht: Statt PVC wird nun zunehmend Silikon verwendet. Ein weiterer Baustein wäre die Implementierung erneuerbarer Energien bei der Produktherstellung.

 

Denn Ziel sollte nicht sein, klimaneutral zu werden, sondern klimapositiv; es geht nicht (nur) darum, Versäumnisse nachzuholen, sondern aus dem Versäumten Neues zu schöpfen. Die EPEA (Environmental Protection Encouragement Agenca und 1987 von Prof. Dr. Michael Braungart in Hamburg gegründet, um gemeinsam mit Unternehmen nachhaltige Lösungen zu entwickeln) betitelt dies als „nächste industrielle Revolution“ bzw. als „Revolution 5.0“ nach der Digitalisierung. Es wird ein Umdenken in den Organisationen vorausgesetzt: Die reine Nachhaltigkeitsabteilung entwickelt sich beispielsweise zur Innovationsabteilung. Denken wir die Rohstoffe und Materialien grundlegend neu und stets zyklisch, entsteht keinerlei Abfallprodukt, die Verschwendung weicht der Verwendung ohne Qualitätsverlust.

 

„Das große Ganze kann nicht ohne das ganz Kleine bestehen, alles ist miteinander verbunden. Um zukunftsfähige und lebenswerte Städte sowie Gebäude zu realisieren, brauchen wir daher ein Verständnis für kreislauffähige Produkte, deren Materialien und Chemikalien gesund für Mensch und Umwelt sind.“ (Quelle: EPEA (Environmental Protection Encouragement Agency), C2C_Booklet_EPEA_PART_II_Gebaeude.pdf).

 

Vom Downcycling über das Recycling zum Upcycling: Nur so wird die Einbahnstraße „Wertschöpfungskette“ nicht zur Sackgasse für die Immobilienbranche und die künftigen Bewohner unserer Städte – unsere Kinder, Enkel und Urenkel!

 

Die vier „C2C“-Prinzipien:

  1. Alles ist Nährstoff, Abfälle gehen auf Designfehler zurück
  2. Regenerative Energien fungieren als Motor des Kreislaufs
  3. Vielfalt bedeutet Resilienz durch Individualisierung
  4. Alles dient dem Allgemeinwohl

 

Apropos:
Auch in unserem vergangenen hybriden CREM Chef’s Table, zu dem wir von BEOS und Swiss Life Asset Managers gemeinsam mit M.O.O.CON ins BEOS-Büro am Ku‘damm und vor den Bildschirm geladen hatten, ging es mitunter um die Generationen von morgen und übermorgen. Bart de Witte, Open-Data-Fürsprecher und Gründer der gemeinnützigen Organisation HIPPO AI Foundation, sowie Bogdan Lazaroae, der in seiner früheren Funktion den großen Umzug des NATO-Headquarters in Brüssel begleitet hat, gaben aufschlussreiche Impulse zum Thema
„Datensolidarität“.

 

Rund 40 Teilnehmende lauschten den Vorträgen, in denen wieder eines deutlich wurde: „We are building for users who are not yet born, for generations that haven’t shown up.” Und damit hat Bogdan Lazaroae es auf den Punkt gebracht: Wir gießen heute das Fundament für eine Zukunft, deren Bedürfnisse wir nur erahnen können, aber berücksichtigen müssen. Und eine wichtige Säule ist dabei schon jetzt die Sharing-Kultur. Nicht nur bezogen auf Flächenkonzepte oder materielle Ressourcen, sondern eben auch auf Datenebene. Dies bestätigte auch
Bart de Witte: „Damit Daten fließen können, muss man sie und alle aus den Daten generierte Derivate zu Gemeingut machen.

 

So entstehen neue Ökosysteme, die auf Grundlage der Datensolidarität aufgebaut sind und die Zusammenarbeit auf Basis gemeinsamer Werte und Normen erleichtern, vor allem aber offene Innovation beschleunigen.“ So können beispielsweise auch in Form des BIM (Building Information Modeling) gut gepflegte, interpretierte und geteilte
Datensätze für mehr Effizienz, Ressourcenschonung und Nachhaltigkeit im Sinne des Cradle-to-Cradle-Prinzips sorgen – um den Kreis an dieser Stelle auch rein thematisch zu schließen.

 

WELT DER WIRTSCHAFT

Zahl des Monats

Es wird erwartet, dass der Marktanteil von Cradle-to-Cradle-inspirierten Gebäuden in 2030 mehr als 50 % beträgt.

 

Quelle: Dr. Peter Moesle und Prof. Dr. Michael Braungar

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